Es war wieder soweit. Nach einer anstrengenden Woche trafen sich die erfolgreichen Unternehmer der Kleinstadt wieder im örtlichen Golfclub, weniger des Sportes wegen, sondern hauptsächlich, um unter sich zu sein. Sie saßen im gemütlichen Kaminzimmer und wurden von Ihrer Lieblingskellnerin Pauline bedient. Sie war BWL-Studentin und freute sich schon immer auf die Unternehmerrunde.
Neben den großzügigen Trinkgeldern gab es häufig amüsante Streitgespräche, im Laufe derer die Unternehmer ihr Praxisferne vorwarfen, sie aber häufig mit neuen betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen ganz frisch aus der Vorlesung für Verblüffung sorgen konnte. Dies war für die erfolgsgewohnten Unternehmer nicht ganz unwichtig, denn als Patriarchen der alten Schule gab es in ihren Unternehmen keine ausgeprägte Diskussionskultur. Viele ihrer Mitarbeiter hatten sich damit abgefunden, dass der Chef immer Recht hatte und wagten kaum noch, auf Probleme hinzuweisen. Auch deswegen war der Golfclub nützlich, denn von Kollegen konnte man ja Ratschläge (und natürlich Aufträge) annehmen.
Der Ablauf der munteren Runde startete immer gleich. Nachdem jeder unaufgefordert sein Lieblingsgetränk erhalten hatte, wurde gefragt: „Nun, Paulinchen, was hast Du denn diese Woche Besonderes an der Hochschule gelernt?“ Meist wurde noch ein Studentenwitz angehängt (schön, dass Du uns zuliebe schon um 15 Uhr aufgestanden bist).
Rente mit 63 kostet Mitarbeiter
Als
Pauline an diesem Tag das Kaminzimmer mit den Lieblingsgetränken betrat, war die Stimmung nicht besonders gut. Einige der Unternehmer hatte wichtige Mitarbeiter verloren, welche die abschlagsfreie Rente mit 63 in Anspruch genommen hatten.
Fritz Fuhrwerk, der Besitzer einer Spedition, empörte sich: "Die hatten gute Arbeitsbedingungen und ein anständiges Gehalt; trotzdem haben die das Angebot der blöden Nahles angenommen." Hans Hopfen, der Brauereibesitzer ergänzte verbittert: "Bei mir ist es ähnlich; ich kann nur hoffen, dass die sich so langweilen, dass sie zurückkommen."
Pauline ergänzte: "Leider gibt es noch einen weiteren Anreiz der Regierung, früher in Rente zu gehen. Der Anteil der Rente, der zu versteuern ist, steigt jedes Jahr. Im Jahr 2019 sind es 78%, in 2020 80% und danach steigt der Anteil jedes Jahr um einen Prozentpunkt, bis in 2040 100% erreicht sind. Und der einmal festgelegte Prozentsatz zum Zeitpunkt des Renteneintritts bleibt lebenslang."
Stephan Weihen, der Molkereibesitzer, unterstützte Paulines Argumentation: "Ein fitter 63-Jähriger hat noch ca. 30 Jahre vor sich und da zählt dann jeder Prozentpunkt, der von der Rente weniger versteuert werden muss. Die Leute rechnen dann 360 Monate mal z. B. 2000 € Monatsrente × 2% = 14.400 Euro, die nicht versteuert werden müssen."
Pauline wandte ein: "Das müsste aber eigentlich abgezinst werden, denn die Steuerersparnis in 30 Jahren hilft heute nur wenig. Aber wenn die Deutschen Steuerersparnis hören…"
Mitarbeiter folgen den Anreizen
Stephan Weihen wandte sich an
Fritz Fuhrwerk: "Du kannst Dir also keine großen Hoffnungen machen. Individuell gesehen verhalten sich die Mitarbeiter genau nach den gesetzten Anreizen. Dass das volkswirtschaftlich Wahnsinn ist, hat die Politiker nicht interessiert. Pech für Dich Pauline. Du wirst das bezahlen müssen, ohne später eine vernünftige Rente zu bekommen."
Pauline sagte: "Dann werde ich wohl Beamtin werden müssen oder selbstständig; dann muss ich das nicht mitbezahlen." Das fanden die Anwesenden nicht gut, weil einige von ihnen hofften, Pauline würde in ihrem Unternehmen anfangen.
Dieter Durchblick, der Wirtschaftsredakteur, hatte einen weiteren Stimmungskiller parat: "Leider wird es für Euch Unternehmer und die Beitragszahler noch schlimmer, wenn die sogenannte Respektrente eingeführt wird. Pünktlich zu den Wahlen schlagen die Minister Heil und Scholz vor, geringe Renten auf eine Respekthöhe von knapp 1000 Euro im Monat aufzustocken. Der maximale Zuschlag soll 14 Rentenpunkte betragen, was mit dem ab 1.7.19 gültigen Punktwert von 33,04 (West) 462,56 Euro im Monat ausmacht. Die Bedingungen sind, dass 35 Jahre eingezahlt wurde (bzw. Kinder erzogen und Kranke/Alte betreut wurden) und dass mindestens 775 Euro pro Monat verdient wurden. Heute kann es sein, dass schlecht verdienende Menschen trotz langer Berufstätigkeit nur 500 Euro Rente erhalten."
Stefan Steuer bestätigte: "500 Euro sind wirklich viel zu wenig. Aber viele der niedrigen Renten werden von Personen bezogen, die in Abstimmung mit dem Ehepartner zum Beispiel wegen der Kinder weniger gearbeitet haben, aber von den guten Renten des Partners profitieren. Und bei der Rentenversicherung gilt immer noch die Beitragsäquivalenz, so dass die Rente von den eingezahlten Beiträgen abhängt." Er wandte sich nun an Pauline: "Nun Pauline, was wird die Konsequenz dieses Ansatzes sein? Habt Ihr das an der Hochschule besprochen?"
Millionär mit Respektrente?
"Ja", antwortete
Pauline: "Das wird gravierende Auswirkungen haben. Wir haben bei der abschlagsfreien Rente mit 63 gesehen, dass die Menschen sehr stark auf finanzielle Anreize reagieren. Das wird auch bei der Respektrente so sein. Also gibt es für einen nicht unwesentlichen Teil der Bevölkerung kaum noch einen Anreiz, mehr als 35 Jahre zu arbeiten beziehungsweise mehr als 775 Euro pro Monat zu verdienen. Es wird somit schon bald einen neuen Typ von Arbeit geben: Den Respektjob, mit dem die Bedingungen gerade eingehalten werden. Denn auch mit viel mehr Arbeit wird ein wesentlicher Teil der Bevölkerung keine höhere Rente erhalten."
"Das stimmt leider, Pauline", unterstrich
Dieter Durchblick: "Und die ganz Unverschämten werden ihre Zeit in Schwarzarbeit stecken, weil die Einzahlung in die Rentenkasse nichts mehr bringt. Dazu kommt, dass es keine Bedürftigkeitsprüfung geben soll, so dass im Extremfall auch Personen mit hohem Einkommen und Vermögen zum Beispiel aus Immobilien oder Wertpapieren eine solche Rente erhalten. Ich sehe schon die Schlagzeile in der Bildzeitung: 'Millionär erhält Respektrente.' Es ist unglaublich, wie kurzsichtig Politiker sein können."
Fritz Fuhrwerk brauste auf: "So blöd können selbst Politiker nicht sein. Die brauchten einfach einen Knüller vor der Wahl, wobei sie darauf vertrauen, dass die meisten Bürger den Betrug nicht merken."
Die Runde fragte nun, wie die Politiker die zusätzlichen Renten bezahlen wollen.
Stefan Steuer erklärte: "Abenteuerlich: Die Finanzierung soll nach der Einführungsphase angeblich ca. 4,8 Mrd. Euro jährlich kosten. Aber dieser Beitrag wird nur kurz reichen, weil sich immer mehr Bürger darauf stürzen werden. Wer die 35 Jahre voll hat und den Durchschnittslohn von 775 Euro im Monat erreicht, hat keinen großen Anreiz, weiterzuarbeiten, zumal bei den unteren Löhnen der Abstand zu Hartz IV sehr gering ist.
Ein kleiner Teil soll über noch zu beschließende Steuererhöhungen abgedeckt werden, was eigentlich im Koalitionsvertrag ausgeschlossen wurde. Ein Großteil läuft über die Rentenversicherung. Bis 2025 soll laut Herrn Heil das Rentenniveau bei 48 Prozent des Durchschnittsverdienstes nach Sozialabgaben bleiben. Wenn ein Politiker so etwas sagt, weiß man, dass es danach steil abwärts geht. Aber über diese Zeit redet man nicht. Und mit der Respektrente wird es noch schlimmer. Arme Pauline!"
Die Anwesenden stöhnten auf, auch weil ihnen klar wurde, dass ihre Mitarbeiter teilweise noch weniger Arbeitszeit zur Verfügung stellen würden. Und ihnen schwante, dass sie wohl höhere Löhne würden zahlen müssen. Auch die wohl zunehmende Schwarzarbeit stimmte sie nicht besser.
Pauline wies aber auf einen positiven Aspekt hin: "Angesichts der gut gefüllten Auftragsbücher können Sie bei einem Engpass im Personal doch darauf verzichten, für die nervigsten Kunden zu arbeiten. Vor allen Dingen, wenn diese auch noch schlechte Deckungsbeiträge einbringen." Fast jedem in der edlen Runde fiel der eine oder andere Kunde ein, der extrem betreuungsintensiv war und dann noch hohe Rabatte herausgeholt hatte. Bei dem Gedanken, dass das weniger würde, hellte sich die Stimmung ein wenig auf.
2019-65-0227
letzte Änderung P.D.P.H.
am 14.07.2024
Autor(en):
Dr. Peter Hoberg
Bild:
Panthermedia.net / bowie15
|
Autor:in
|
Herr Prof. Dr. Peter Hoberg
Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Worms. Seine Lehrschwerpunkte sind Kosten- und Leistungsrechnung, Investitionsrechnung, Entscheidungstheorie, Produktions- und Kostentheorie und Controlling. Prof. Hoberg schreibt auf Controlling-Portal.de regelmäßig Fachartikel, vor allem zu Kosten- und Leistungsrechnung sowie zu Investitionsrechnung.
|
weitere Fachbeiträge des Autors
| Forenbeiträge
|
Eigenen Fachbeitrag veröffentlichen?
Sie sind Autor einer Fachpublikation oder Entwickler einer Excel-Vorlage? Gern können Sie sich an der Gestaltung der Inhalte unserer Fachportale beteiligen! Wir bieten die Möglichkeit Ihre Fachpublikation (Fachbeitrag, eBook, Diplomarbeit, Checkliste, Studie, Berichtsvorlage ...) bzw. Excel-Vorlage auf unseren Fachportalen zu veröffentlichen bzw. ggf. auch zu vermarkten.
Mehr Infos >>